Bedrohte Minderheiten im Orient, Zarathustras letzte Anhänger

Zarathustrier im Iran Auf dem Rückzug
20. Mai 2017
Zarathustrierverfolgung
6. Juni 2017
Zarathustrier im Iran Auf dem Rückzug
20. Mai 2017
Zarathustrierverfolgung
6. Juni 2017
alle anzeigen

Bedrohte Minderheiten im Orient, Zarathustras letzte Anhänger

Wenn niemand spricht, ist es vor dem Schrein von Chak Chak so still, dass man im Innern das Holzfeuer knacken hört. Von der Terrasse vor dem zarathustrischen Heiligtum aus bietet sich ein grandioser Blick in die zentraliranische Wüste. Karge Berge, schroffe Felsen, weite Ebene. Hitze. Stille. Der Legende nach war es an diesem Berg am Rande der Wüste Kawir, dass die Tochter des letzten zarathustrischen Königs der Sasaniden im Jahr 640 vor den muslimischen Invasoren Zuflucht suchte. Nachdem sie ihren Gott Ahura Mazda um Hilfe gebeten hatte, tat sich im Berg ein Spalt auf, in dem sie verschwand.

Wächter des Feuers

Das Heiligtum von Chak Chak ist die wichtigste zarathustrische Pilgerstätte in Iran. Im Juni pilgern jeweils Tausende von Anhängern des Propheten Zarathustra aus aller Welt hierher, um an die Verfolgung ihrer Vorfahren durch die arabischen Eroberer zu erinnern. Sonst kommen nur vereinzelt Besucher in die Wüste. Bei Nacht ist der Wächter des Schreins der einzige Mensch in einem weiten Umkreis. Der alte Mann wacht darüber, dass das heilige Feuer im Heiligtum niemals ausgeht. «Seit Hunderten von Jahren brennt dieses Feuer», erklärt er, mit dem schweren Dialekt der Zarathustrier. Nur das Holz eines bestimmten Baumes verwende er, um die Flammen am Leben zu halten. Alle zwei Wochen kehre er zu seiner Familie zurück. Dann wacht ein anderer Mann über das Feuer.

Wegen der Rolle, die das Feuer in den Tempeln der Zarathustrier spielt, gelten sie konservativen Muslimen als Feueranbeter. Obwohl der Prophet Zarathustra lehrte, dass es nur den einen Gott Ahura Mazda gebe, und er damit als der erste Monotheist der Welt gilt, wird das Zarathustriertum anders als das Christentum und Judentum vom Islam nicht als Buchreligion betrachtet. Nach der arabischen Eroberung Irans im 7. Jahrhundert wanderten daher mehrere große Gruppen nach Indien aus. Die grosse Mehrheit der Anhänger Zarathustras konvertierte aber zum Islam.

Heute gibt es nur noch rund 20 000 Zarathustrier im Land, und wie die Angehörigen anderer religiöser Minderheiten ist ihre Lage prekär. Im gerade veröffentlichten Jahresbericht des Pew Research Center zu den staatlichen Einschränkungen der Religionsfreiheit ist Iran auf Platz sechs der restriktivsten Ländern der Welt gelandet – nicht zuletzt wegen der Beschränkungen, denen Bahai, Christen, Juden und auch die Zarathustrier bei der Ausübung ihres Glaubens ausgesetzt sind, sowie der rechtlichen Diskriminierung, der sie als Nichtmuslime unterliegen.

Doch trotz ihrer geringen Zahl haben sie eine besondere Stellung in Iran. Denn auch wenn sie der islamischen Geistlichkeit als Heiden gelten, geniessen sie in der Bevölkerung grossen Respekt. «Zarathustrier sind ehrliche Leute», sagt der Taxifahrer Omid auf der Fahrt von Chak Chak in die 60 Kilometer entfernte Oasenstadt Yazd, wo nach Teheran die grösste zarathustrische Gemeinde in Iran lebt. «Sie sagen immer die Wahrheit.» In Yazd hat sich die zarathustrische Gemeinde besser als anderswo gehalten, weil die Stadt wegen ihrer Wüstenlage isoliert ist. Auch die Moderne hat erst spät Einzug gehalten, so dass man in den engen Gassen der Altstadt noch viele traditionelle Wohnhäuser findet und sich über den Dächern zahllose Windtürme erheben, mit denen der Wind eingefangen wird, um die Häuser zu kühlen. Zwar wohnen die Zarathustrier in Yazd in eigenen Vierteln, doch leben sie in friedlicher Koexistenz mit ihren muslimischen Nachbarn.

Bei der Wertschätzung für die Zarathustrier spielt der ausgeprägte iranische Nationalismus ebenso eine Rolle wie der Überdruss vieler Iraner mit dem Islam, der durch den politischen Missbrauch durch das Regime beschädigt ist. Viele Nationalisten betrachten das Zarathustriertum als die ursprüngliche und eigentliche Religion Irans, während ihnen der Islam als arabisch und fremd gilt. Das geflügelte Emblem der Zarathustrier ist zu einer Art Nationalsymbol geworden und wird als Schmuckanhänger auch von Muslimen getragen.

Weit brisanter als die symbolische Identifikation ist, dass manche Muslime im Zarathustriertum eine Alternative zum Islam sehen. «Das Regime ist sich bewusst, dass es einen großen Anteil der Bevölkerung gibt, der reges Interesse am Zarathustriertum hat und der islamischen Religion müde ist», sagt der Ethnologe Just Boedeker. «Das Regime fürchtet, dass viele Muslime das Zarathustriertum als die bessere Religion sehen und konvertieren würden, wenn das System nicht bestünde.»

Sieben symbolträchtige Sachen

Studien zeigen, dass die Iraner das am wenigsten religiöse Volk der Region sind. Während die Türkei, Ägypten und Pakistan eine Reislamisierung erleben, verliert der Islam in Iran auf individueller Ebene an Bedeutung. Zugleich bleibt aber bei vielen Iranern ein Bedürfnis nach Spiritualität. Dies bezeugen die vielen muslimischen Besucher, die täglich zum Feuertempel in Yazd strömen, einem einstöckigen Backsteingebäude, dessen Säulenportal vom geflügelten Symbol der Zarathustrier gekrönt wird. Obwohl es ausser der heiligen Flamme im Innern des 1940 neu gebauten Tempels nicht viel zu sehen gibt, kommen Familien, Schulklassen und Touristengruppen in grosser Zahl.

In einem Nebengebäude führt eine kleine Ausstellung in das Zarathustriertum ein. Die simplen Erklärungen zeigen, wie gering das Wissen der meisten Besucher ist. «Die Neigung zum Zarathustriertum basiert nicht auf tiefer Kenntnis der Religion», sagt Boedeker. Doch gebe es eine starke Identifikation mit den zarathustrischen Ritualen und Festen wie Nouruz, dem iranischen Neujahr, das am 20. März von allen Iranern gefeiert wird. Bei dem Fest richten auch die Muslime auf einem Tisch die sogenannten Haft Sin an, sieben symbolträchtige Dinge, die jeweils für eine Eigenschaft und für eines der sieben unsterblichen Wesen des Zarathustriertums stehen. Dem Regime sind die Feiern wegen ihres nichtislamischen Ursprungs ein Dorn im Auge, doch alle Versuche, sie einzuschränken, sind gescheitert. Zu tief ist der Brauch in der iranischen Kultur verwurzelt.

«Viele Muslime empfinden es als positiv, dass das Zarathustriertum nicht wie der Islam auf Regeln und Vorschriften setzt, sondern zu gutem Denken, gutem Sprechen, gutem Handeln anhält», sagt Boedeker. Anders als der schiitische Islam mit seinem Märtyrerkult ist das Zarathustriertum auch eine freudige Religion, in der Feste eine wichtige Rolle spielen. Zudem sind die Zarathustrier, besonders was das Verhältnis von Männern und Frauen angeht, relativ liberal.

In Indien angesehen

Ein Großteil der rund 4000 Zarathustrier, die heute noch in Yazd leben, konzentriert sich auf das Viertel um den Feuertempel. Ebenso wie der Tempel wurde die Klinik 1937 mit finanzieller Unterstützung von Zarathustriern in Indien, die dort Parsen genannt und zur Elite gezählt werden, errichtet. Sie setzen sich seit langem dafür ein, die Situation ihrer iranischen Glaubensbrüder zu verbessern. Dieser Hilfe haben es die Zarathustrier zu verdanken, dass sie heute in Iran eine relativ gebildete Gemeinschaft bilden. Dennoch bleibt ihre politische Lage prekär: Zwar werden sie anders als zu Beginn der Islamischen Republik von den Mullahs nicht mehr öffentlich als Feueranbeter diffamiert, doch betrachtet sie das Regime mit Argwohn. Viele Posten im öffentlichen Dienst sind ihnen versperrt, auch rechtlich sind sie in etlichen Bereichen benachteiligt.

Wer einen Muslim heiraten will, muss zum Islam konvertieren, Muslimen ist umgekehrt der Übertritt zum Zarathustriertum verboten. Auch wenn es in der Gemeinschaft nicht gern gesehen wird, heiraten Zarathustrier doch oft Muslime und konvertieren. Auch sind in den letzten Jahrzehnten viele junge Zarathustrier in den Westen ausgewandert. So kommt es, dass die zarathustrische Gemeinschaft in Iran bei allem Interesse an ihrer Religion langsam verschwindet.

Ulrich von Schwerin ist Journalist und Historiker mit Schwerpunkt Iran.

Verschrien als Magier, Feueranbeter, Feinde des Islam

DSt. ⋅ Wenn der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan nach Schimpfwörtern für aufständische Kurden sucht, nennt er sie gelegentlich «Atheisten» und «Zarathustrier». Die Jahrtausende alte Religion persischen Ursprungs ist für den Türken offenkundig negativ besetzt. Dabei sucht man nach Anhängern Zarathustras in seinem Land wie in den meisten Staaten der sunnitischen Welt vergeblich. Einzig im kurdischen Nordirak, wo das Zarathustriertum im 7. Jahrhundert verschwand, gibt es nach irakischen Berichten wieder eine kleine Gemeinschaft von Neo-Zarathustriern, die ihren Glauben als «authentisch kurdisch» empfinden. Bei den Behörden der Autonomieregion haben sie bereits den Bau von Feuertempeln beantragt.

Darüber hinaus gelten Zarathustrier vielen konservativen Muslimen und Islamisten als gottlos. Im saudisch-iranischen Konflikt, der nach der Massenpanik in Mekka 2015 und dem Tod Hunderter iranischer Pilger entbrannte, sprach der saudische Mufti Abdelaziz al-Sheikh den Religionsführern in Iran ab, Muslime zu sein. Sie seien vielmehr Zarathustrier, deren «Feindschaft mit den Muslimen alt» sei. Und auch bei den Jihadisten spielt das Zarathustriertum ideologisch eine Rolle: In einem Strategiepapier des Terrornetzwerks al-Kaida zu Syrien werden die Zarathustrier synonym als Iraner begriffen, die gemeinsam mit «Zionisten» und «Kreuzrittern» um die syrische Kriegsbeute kämpften. Sie seien die grössten Feinde des Islam.

Dass die im zweiten Jahrtausend vor Christus vom Glaubensstifter Zarathustra verbreitete Lehre neben dem Judentum als älteste monotheistische Religion der Welt gelten darf, scheinen die Radikalen zu ignorieren. In der islamischen Geschichte bestand jedoch in der Tat lange Ungewissheit, wie mit den «Feueranbetern» umzugehen sei, die die muslimischen Eroberer nicht nur in Persien, sondern im Irak, Bahrain, Oman oder Jemen vorfanden. Als «Magier» im Koran erwähnt, waren sie zwar nicht den Juden und Christen gleichgestellt, galten aber auch nicht als minderwertige «Götzenverehrer». Während sie in den arabischen Gebieten schnell verschwanden, schrumpfte durch Vertreibung und Konversion auch ihre Zahl in Persien.

Neue Zürcher Zeitung
von Ulrich von Schwerin

Schreibe einen Kommentar